Mikrosystemtechnik: Technische und medizinische Anwendungen

Mikrosystemtechnik: Technische und medizinische Anwendungen
Mikrosystemtechnik: Technische und medizinische Anwendungen
 
Die Möglichkeiten der Mikrosystemtechnik und Telemetrie wecken die Fantasie vieler Ingenieure, so auch die der Agrarfachleute: Kleine Sender, die jedes Stück Vieh am Ohr trägt, identifizieren jedes Tier auf der Weide, melden per Funkfernabfrage seine Position und geben Alter, Zuchtabstammung, Schur- oder Schlachtdatum an. Implantierbare Sensoren messen Blutdruck, Hormonpegel, Körpertemperatur und andere veterinärmedizinische Parameter und stellen die Empfängnisbereitschaft der Kühe fest. Die Kontrolle eines Tierzuchtbetriebs könnte also in dieser Vision vollständig vom PC aus erfolgen!
 
Ein anderes Beispiel stammt aus den Niederlanden, der Hochburg des technisierten Gemüseanbaus in Europa, wo am Konzept der »künstlichen Hummel« gearbeitet wird. Hummeln sind die natürlichen Bestäuber der Tomaten, aber leider sind diese Insekten unter den Bedingungen des industriellen Pflanzenanbaus nicht sehr »zuverlässig«: In Treibhäusern fühlen sie sich prinzipiell nicht wohl. Sie bestäuben pro Staude unter Umständen viel mehr Blüten als nötig — woher sollen sie auch wissen, dass dadurch, dass die Pflanze jetzt ihre Energie auf mehrere Früchte verteilen muss, die Tomaten viel zu klein bleiben. Vorteilhaft wäre eine künstliche Hummel: Mit einer winzigen Kamera und einem intelligenten Bildverarbeitungssystem ausgestattet, könnte diese die Blüten der Tomatenpflanze erkennen und dann mittels Chemosensoren feststellen, ob die Pflanzen bereits bestäubungsbereit sind. Sie könnte dann mit miniaturisierten Aktoren Pollen einer Blüte sammeln und diesen Pollen wohldosiert auf die Narben der zu bestäubenden Blüten aufbringen und diesen Vorgang — Nummer der Pflanze und der Blüte, Zeitpunkt der Bestäubung — registrieren und die Daten drahtlos einer Steuereinheit übermitteln. So ließe sich Überbestäubung verhindern, überschüssige Blütenknospen könnten mit einer Minischere sogar entfernt werden. Nun muss man sich die künstliche Hummel aber keineswegs unbedingt als fliegendes Mikrosystem vorstellen. Vielmehr denkt man vorerst an eine Art Modelleisenbahn, die durch die Tomatenplantage fährt und per Teleskoparm-Mechanik die geschilderten Aktivitäten ausführt. Ob diese Anwendung der Mikrosystemtechnik auch geschmacklich höherwertige oder gesündere Tomaten hervorbringt, sei dahingestellt.
 
Der Einsatz von Mikrosystemtechnik in Pflanzenbau und Tierzucht kann dazu beitragen, Obst, Gemüse und Fleisch wirtschaftlicher und mit einem geringeren Verbrauch von chemischen Schädlingsbekämpfungsmitteln zu erzeugen. Würde man etwa mit einer großen Zahl von Sensoren, die über eine Obstplantage oder einen Weinberg verstreut aufgestellt sind, Schädlinge schon erkennen, wenn der Befall der Pflanzen erst beginnt, könnte man Schädlingsbekämpfungsmittel rechtzeitig in geringer Dosierung und nur in eng umgrenzten Gebieten einsetzen. Auch Krankheiten von Pflanzen und Tieren könnten mit solchen Sensoren frühzeitig erkannt werden. Dies sind nur einige der unzähligen möglichen Anwendungen, die die Mikrosystemtechnik schon heute oder in naher Zukunft haben kann und die in diesem abschließenden Kapitel vorgestellt werden sollen.
 
Sensoren und Aktoren
 
Von komplexen Mikrosystemen werden grundsätzlich drei Funktionen gefordert: Wahrnehmen, Bewerten und Handeln. Die für die Wahrnehmung zuständige technische Komponente wird Sensor genannt. Ein Sensor erfasst über einen physikalischen Effekt eine zu messende Größe und wandelt den Messwert — in der Regel — in ein elektrisches Signal um. Das Bewerten ist die Aufgabe einer mikroelektronischen Baugruppe. Diese ordnet dem ankommenden Eingangswert mithilfe von gespeicherten Tabellen oder auch komplexeren Entscheidungsalgorithmen bis hin zur künstlichen Intelligenz einen Ausgangswert zu, zum Beispiel die Höhe einer Steuerspannung oder die Dauer eines Steuerimpulses. Der Ausgangswert bestimmt die Tätigkeit der dritten Komponente, des für das Handeln zuständigen Aktors. Dieser setzt das Steuersignal mithilfe von Motoren oder hydraulischen Bauteilen in eine Bewegung oder eine irgendwie geartete Manipulation eines zu bearbeitenden Gegenstandes um.
 
Sensoren und Aktoren müssen nicht gezwungenermaßen miniaturisierte Elemente sein, herkömmliche Thermometer oder Blutdruckmessgeräte sind keineswegs Produkte der Mikrotechnik, auch ein Airbag ist zwar ein Aktor, aber sicherlich nicht als Ganzes miniaturisiert. Doch immer mehr Anwendungen, etwa in der Automobiltechnik, der Medizin oder der Mikrosystemtechnik selbst, verlangen nach immer stärker miniaturisierten Komponenten, sodass ein Ende der stürmischen Entwicklung dieser Technologie nicht abzusehen ist.
 
 Mikrotechnik im Automobil
 
Das Automobil ist ein typisches Produkt unserer modernen Industriegesellschaft, an welches ständig höhere Anforderungen gestellt werden: Es soll immer zuverlässiger, sicherer und komfortabler werden. Dabei muss es aber nach wie vor unproblematisch zu bedienen sein, und weder Gewicht noch Wartungsaufwand dürfen zunehmen — im Gegenteil. Man erwartet einfachere Bedienung, niedrigeren Energieverbrauch und trotzdem möglichst geringe Anschaffungskosten. Um diesen Forderungen gerecht zu werden, müssen immer mehr technische Funktionen von zunehmend komplexerer Natur in einem Fahrzeug integriert werden.
 
Miniaturisierung hat im Automobil in vielfältiger Form Einzug gehalten: Versahen 1994 noch durchschnittlich elf unterschiedliche Sensoren in jedem Automobil ihren Dienst, so rechnet man bis zum Jahr 2004 mit einer Verdreifachung dieser Anzahl. In vier Hauptbereichen wird Mikrotechnik im Automobil bereits eingesetzt:
 
Motorenmanagement: Die elektronische Einspritzregelung ist in vielen modernen Fahrzeugen bereits realisiert. Extreme Anforderungen an die Treibstoffdosierung können erfüllt werden. Zukünftig werden sich auch Additive bei Bedarf in winzigen wohldosierten Mengen dem Luft-Treibstoff-Gemisch zusetzen lassen. Die Präzision der Geometrie von Einspritzdüsen gewährleistet eine genaue Abstimmung der zugeführten Treibstoffmenge genauso wie Luftmassensensoren, die die durch den Ansaugkanal fließende Luftmenge genau registrieren. Druck- und Temperatursensoren unterschiedlicher Art helfen mit, die optimalen Betriebsparameter des Motors für die jeweils gegebenen Rahmenbedingungen einzustellen.
 
Fahrverhalten: Antriebsschlupfregelung und Antiblockiersystem stabilisieren das Fahrzeug in Fahrtrichtung während kritischer Betriebssituationen. Dem Ausbrechen des Fahrzeugs in Querrichtung kann in vielen Fällen ebenfalls vorgebeugt werden. Dazu wurde die Fahrdynamikregelung (ESP, elektronisches Stabilitätsprogramm) entwickelt. ESP erhöht die Spurstabilität und -treue und vermindert somit die Schleudergefahr. Grundlage dieser Einrichtungen sind Beschleunigungs- und Drehratensensoren, die in der Regel heute mikrotechnisch ausgeführt werden. Drehratensensoren erfassen kleinste Lageänderungen des Fahrzeugs in allen drei Raumrichtungen sehr präzise und können damit Daten über Fahrbahnneigung, Steigung oder Gefälle sammeln, ja schließlich über die kontinuierliche Aufzeichnung der Geschwindigkeitswerte die Position des Fahrzeugs relativ zu einer Startposition ermitteln.
 
Aktive und passive Sicherheit: Beschleunigungssensoren treffen die Entscheidung über die Zündung der kleinen Sprengkapsel, die den Airbag in Sekundenbruchteilen zur Entfaltung bringt. Doch nicht nur die bei einem Aufprall relativ hohen Beschleunigungen können von Sensoren erfasst werden, auch kleinste Winkeländerungen, zum Beispiel beim Anheben eines Fahrzeugs. Dies kann als integraler Bestandteil einer Diebstahlsalarmanlage zur Auslösung eines Sirenen- oder Lichtsignals benutzt werden. Abstandssensoren, an der Peripherie des Fahrzeugs angeordnet, warnen bei zu kritischem Abstand zum Vorausfahrenden, überwachen den toten Winkel und weisen den Fahrer darauf hin, seine Spur einzuhalten, wenn ein überholendes Fahrzeug erfasst wird, und sie helfen beim Einparken.
 
Komfort und Kommunikation: Über Temperatur- und Feuchtesensoren im Innen- und Außenbereich kann eine »intelligente« Klimaanlage die vorgewählten Konditionen flexibel einstellen. Chemosensoren können vor steigenden Abgaswerten warnen oder, im Auspuffbereich, die korrekte Verbrennung des Treibstoffs und die Funktion des Katalysators überwachen. Faseroptische Verbindungen zwischen Bedienungspaneel und Audioeinheit (Radioempfänger oder CD-Wechsler) im hinteren Bereich des Fahrzeugs und den Lautsprechern garantieren optimale Informationsvermittlung und Musikgenuss frei von elektromagnetischen Störeinflüssen. Displays, faseroptische Armaturenbeleuchtung und Telekommunikationseinrichtungen werden in zukünftigen Automobilgenerationen nicht mehr nur der Oberklasse vorbehalten bleiben.
 
Beschleunigungssensoren
 
Unter einer Beschleunigung versteht man physikalisch jegliche Geschwindigkeitsänderung, auch wenn diese negativ ist, also umgangssprachlich eine Verzögerung gemeint ist. Eine Änderung der Bewegungsrichtung bei gleich bleibendem Betrag der Geschwindigkeit, wie sie etwa bei einer gleichmäßigen Kreisbewegung auftritt, ist in diesem Sinne ebenfalls eine Beschleunigung. Das Messen von Beschleunigungen ist in vielen Bereichen von Technik und Mikrotechnik notwendig, daher hat man auch schon früh damit begonnen, miniaturisierte Beschleunigungssensoren zu entwickeln.
 
Das Herz eines Beschleunigungssensors ist eine beweglich aufgehängte »seismische Masse«. Beim Auftreten einer Beschleunigung wird ein solcher Körper aufgrund seiner Trägheit aus seiner Ruhelage ausgelenkt und diese Positionsänderung ist ein Maß für die erfolgte Beschleunigung. Die Positionsänderung kann optisch oder elektrisch nachgewiesen werden. Mikrotechnisch lassen sich solche seismischen Massen zum Beispiel durch Silicium-Ätztechniken oder mittels Opferschichtverfahren herstellen. Bei einem typischen in x- und y-Richtung empfindlichen Beschleunigungssensor ist die seismische Masse von nur 0,7 Mikrogramm an Ankerstrukturen beweglich aufgehängt. Ihre fingerartigen Fortsätze sind berührungslos mit ebenfalls fingerförmigen, aber mit dem Substrat verbundenen Strukturen verzahnt. Bewegliche und feste »Finger« sind als Kondensator geschaltet. Bei einer Auslenkung der seismischen Masse ändert sich der elektrische Ladungszustand des Kondensators, was zu einem Spannungssignal führt, welches in einem mitintegrierten Mikrochip verstärkt und verarbeitet wird. Bereits Auslenkungen von wenigen Nanometern (milliardstel Metern) können auf diese Weise zuverlässig detektiert werden.
 
Beschleunigungssensoren könnten in Zukunft Anwendung in der Telemetrie, der Bewegungstherapie, der Raum- und Personenüberwachung oder bei Computermäusen finden.
 
Passive Infrarot-Detektoren
 
Ein wichtiger, vor allem zur Überwachung von Räumen und Personen eingesetzter Sensortyp ist der passive Infrarot-Detektor. Ein Mensch strahlt Infrarotlicht vor allem bei Wellenlängen von 4 bis 20 Mikrometern aus (sichtbares Licht hat Wellenlängen von etwa 0,4 bis 0,8 Mikrometern). Auch diese langen Wellen können von einfachen Optiken erfasst und auf kleine Detektorelemente abgebildet werden. Ordnet man mehrere Sensorelemente so an, dass sie Wärmestrahlung aus verschiedenen Bereichen eines Raums wahrnehmen können, so kann eine entsprechend angelegte Elektronik feststellen, ob sich in diesem Raum ein Mensch befindet und vor allem, ob er sich durch diesen bewegt. Derartige Sensoren sind nur so groß wie ein Stück Würfelzucker und können wegen ihrer Unauffälligkeit ideal in der Sicherheitstechnik zur Überwachung von Gebäuden und Zugängen eingesetzt werden. In der Gebäudetechnik lassen sie sich für ein effizienteres Licht- und Klimamanagement verwenden, indem in unbenutzten Zimmern Beleuchtung und Heizung heruntergefahren werden. Ähnliche Aufgaben können hinreichend miniaturisierte Sensoren auch am Laptop, Fernseher oder im Automobil übernehmen.
 
 Sensoren als künstliche Sinnesorgane
 
Wissenschaft und Technik verlangen nach immer schneller und sicherer werdenden Nachweismethoden für immer kleinere Substanzmengen und dazu nach möglichst berührungslosen Testverfahren. Die von der Mikrotechnik hierfür entwickelten Sensoren orientieren sich in gewisser Weise an der Natur: Das Auge registriert als optischer Sensor Licht, also elektromagnetische Wellen mit einer Wellenlänge von 0,4 bis 0,8 Mikrometern, das von einem zu analysierenden Gegenstand reflektiert wird oder diesen durchstrahlt. Es nimmt dabei unterschiedliche Wellenlängen als Farben, Lichtintensitäten als Helligkeit wahr; daraus schließt es auf die Beschaffenheit des Gegenstands. In der Mikrotechnik entwickelte optische Sensoren untersuchen ebenfalls Licht, das von einer Probe ausgeht, wobei sie außer Wellenlänge und Intensität auch noch andere Lichteigenschaften verwenden. Nase und Zunge analysieren als natürliche Sensoren unablässig die Umgebungsluft und die Nahrung auf darin enthaltene Substanzen. Nach diesem Vorbild wurden chemische Sensoren entwickelt, die chemische Reaktionen zwischen den zu untersuchenden Stoffen und einem in den Sensor integrierten Reagens zur Detektion verwenden. Von der ungeheuren Vielzahl physikalischer und chemischer Effekte, derer sich heutige Sensoren zur Stoffanalyse bedienen, soll im Folgenden ein kleiner Ausschnitt vorgestellt werden.
 
Optische Sensoren
 
Miniaturspektrometer sind in ihrer Funktionsweise dem menschlichen Auge sehr ähnlich, da auch sie Farbe und Helligkeit des Lichts auswerten. Sie nutzen dabei die Tatsache, dass beim Durchgang von Licht durch eine Substanz dessen Intensität geschwächt wird, wenn es zu Absorption oder Streuung des Lichts kommt. Diese Schwächung ist wellenlängenabhängig; ein Gas, eine Flüssigkeit oder ein Festkörper absorbieren oft ganz spezielle Wellenlängen und lassen alle anderen mehr oder weniger ungehindert passieren. Weißes Licht, das ja aus »allen« Farben, also einer Überlagerung sehr vieler Wellenlängen besteht, wird, nachdem es durch eine Substanz hindurchgegangen ist, einen charakteristischen »Fingerabdruck« der beobachteten Substanz tragen — es fehlen die von dieser Substanz absorbierten Wellenlängen. Die Schwächung des Lichts ist umso größer, je länger die durchstrahlte Wegstrecke beziehungsweise je größer die Konzentration des nachgewiesenen Stoffs entlang dieser Strecke ist. Der Fingerabdruck der Substanz wird nachgewiesen, indem das Licht, das die Probe durchstrahlt hat, mit einem Prisma oder einem optischen Gitter so gebeugt wird, dass die unterschiedlichen Wellenlängen auf verschiedene Bereiche einer Photodiodenzeile abgebildet werden. Diese misst die Helligkeiten bei den einzelnen Wellenlängen elektronisch und übermittelt die Daten an einen Prozessorchip, der sie mit den Helligkeiten des ungestörten Lichts vergleicht.
 
Neben Intensität und Wellenlänge zeichnet sich eine Lichtwelle noch durch eine weitere Eigenschaft aus, die Phase, die mithilfe von Interferometern bestimmt werden kann. Was Phase und Interferenz im Einzelnen bedeuten, lässt sich am besten wie folgt erklären: Treffen zwei Lichtwellen aus derselben Quelle aufeinander und haben sie bis zu diesem Punkt zwei unterschiedliche, aber fast gleich lange Wegstrecken zurückgelegt, so ist die Lichtintensität an diesem Punkt abhängig davon, ob dort ein Wellental der einen Welle auf ein Wellental der anderen trifft oder ob beide Wellen etwas »außer Tritt« geraten sind. Diese Abhängigkeit wird auch Interferenz genannt. Diesen Unterschied gibt man in Grad an und nennt ihn die Phasendifferenz beider Wellen. Trifft Wellenberg auf Wellenberg und damit Wellental auf Wellental, so beträgt die Phasendifferenz 0 Grad, die Wellen sind »in Phase« und die Interferenzintensität ist maximal. Trifft dagegen Wellental auf Wellenberg, so beträgt die Phasendifferenz 180 Grad und beide Wellen löschen sich vollständig aus — am Interferenzort herrscht Dunkelheit. Da die Phasendifferenz von der Länge der Wege und der längs des Wegs herrschenden Lichtgeschwindigkeit abhängt, kann aus der am Interferenzort gemessenen Helligkeit auf diese Größen zurückgeschlossen werden. Messgeräte, mit denen Phasendifferenzen aufgrund von Interferenzeffekten ermittelt werden, nennt man Interferometer.
 
Miniaturisierte Interferometer werden oft als integriert-optische Wellenleiterstrukturen hergestellt. Die Lichtführung in solchen nur wenige Mikrometer breiten Wellenleitern beruht darauf, dass der Brechungsindex (und damit die Lichtgeschwindigkeit) dort geringfügig höher ist als in der sie umgebenden, flüssigen oder gasförmigen Probe. Die Wellennatur des Lichts bedingt aber, dass es sich zu einem geringen Teil auch durch das dem Wellenleiter unmittelbar benachbarte Probenmaterial bewegt. Dadurch wird die Geschwindigkeit des Lichts im Wellenleiter eine komplizierte Funktion von Proben- und Wellenleitermaterial — und reagiert damit empfindlich auf kleine Änderungen in der stofflichen Zusammensetzung der Probe. Wieder kann durch Vergleich von ungestörtem und gestörtem Lichtstrahl die Anwesenheit bestimmter Substanzen im Substrat nachgewiesen werden. Dieser Vergleich geschieht im Interferometer einfach dadurch, dass Laserlicht durch den Wellenleiter in zwei Wege aufgespalten und danach wieder zusammengeführt wird. Solange die Oberflächen beider Wellenleiterarme mit demselben Medium, zum Beispiel Wasser, in Kontakt sind, tritt das Licht am Ausgang des Interferometers fast ungeschwächt wieder aus, da das Licht aus beiden Armen nach wie vor in Phase ist. Bringt man aber die Oberseite eines Interferometerarms gezielt in Kontakt mit einem anderen Medium, zum Beispiel mit Wasser, in dem eine Substanz gelöst ist, so ändert sich die Lichtgeschwindigkeit in diesem Arm um einen winzigen Betrag und damit auch die Phase des aus diesem Arm austretenden Lichts. Sind die beiden Lichtsignale am Ausgang des Interferometers somit phasenverschoben, kommt es zu einer von der Phasenverschiebung abhängigen Abschwächung. Die Intensitätsänderung kann von einer simplen Photodiode nachgewiesen und dann elektronisch in die Konzentration des gelösten Stoffs umgerechnet werden.
 
Dieses Messverfahren ist so empfindlich, dass eine auf der Wellenleiteroberfläche absorbierte Schicht sogar noch dann detektiert werden kann, wenn sie nur aus einer Einzellage von Molekülen besteht. Dies macht man sich beispielsweise in der medizinischen Diagnostik bei Immunosensoren zunutze. Dabei wird ein Interferometerarm mit einer Schicht von Antigenmolekülen belegt. Auf ein Antigen reagiert das Immunsystem des Körpers mit der Bildung spezifischer Antikörper, die sich an das Antigen anlagern und es zur Zerstörung markieren. Damit kann die Phasenänderung, welche die Antigen-Antikörper-Reaktion an dem mit Antigenmolekülen beschichteten Interferometerarm auslöst, benutzt werden, um das Vorhandensein auch geringster Mengen von Antikörpern und damit eine Immunität gegen eine bestimmte Krankheit nachzuweisen.
 
Optroden
 
Eine Reihe polymerer Substanzen hat die Eigenschaft, niedermolekulare Stoffe in das molekulare Netzwerk einzulagern. Dadurch ändern sich sowohl die optischen Eigenschaften der Polymeren als auch die der eingelagerten Substanzen oder die von weiteren dem Polymer zugesetzten Stoffen. So besteht der Nachweiskopf eines Harnstoffsensors im Wesentlichen aus einem porösen Polymerkörper oder einer Membran am Ende einer Glasfaser, die das Harnstoff abbauende Enzym Urease enthält. Allerdings wird das eingekoppelte Licht nicht durch die Abbauprodukte selbst geschwächt, sondern durch einen zugesetzten Indikatorfarbstoff, der auf den durch den Harnstoffabbau veränderten Säuregehalt mit einer Farbänderung reagiert: Das in den Lichtleiter zurückreflektierte Licht wird also, je nach der vorliegenden Konzentration von Harnstoff, mehr oder weniger geschwächt. Andere Nachweisprinzipien beruhen zum Beispiel auf der Veränderung der Fluoreszenzintensität gewisser Stoffe aufgrund von chemischen Reaktionen.
 
Die dargestellten und viele andere Typen von optischen Sensoren können nicht nur in der medizinischen Diagnostik, sondern zum Beispiel auch in der Umweltanalytik zur Gewässeruntersuchung oder Überwachung von Kläranlagen, bei der dezentralen Schadstoffanalyse in chemischen Betrieben oder zur Qualitätskontrolle bei Druckbetrieben eingesetzt werden.
 
Chemische Sensoren
 
Chemische Substanzen lassen sich von einer ganzen Klasse von Sensoren direkt, auch ohne Ausnutzung optischer Effekte, nachweisen. Dafür ist es primär nötig, den nachzuweisenden Stoff an einem Erkennungsstoff zu adsorbieren oder ihn mit diesem zur Reaktion zu bringen. Sodann muss durch die Adsorption oder Reaktion ein elektrisches Signal erzeugt und dieses durch eine entsprechend ausgelegte Elektronik aufgenommen und verstärkt werden.
 
Manche Atom- oder Molekülarten können beispielsweise die Leitfähigkeit einer dünnen Halbleiterschicht verringern oder vergrößern, wenn sie mit der Schichtoberfläche chemische Bindungen eingehen. So können mit Interdigitalelektroden aus Platin versehene Zinnoxidschichten bei erhöhten Temperaturen zum Nachweis der Konzentration von Kohlenmonoxid oder Stickstoffdioxid verwendet werden.
 
Adsorbierte Moleküle können chemisch zersetzt werden, und es kann anschließend zum Einbau von Molekülbruchstücken in das Sensormaterial kommen. So können Sauerstoffmoleküle, die bei Temperaturen von 600 bis 900 Grad Celsius an platinbelegte Zirconium-Yttrium-Oxid-Keramiken geraten, zu Sauerstoffionen umgesetzt werden. Zirconium-Yttrium-Oxid-Keramik ist bei diesen Temperaturen ein Ionenleiter, der die Sauerstoffionen aufnimmt. Diesen Effekt macht man sich bei der Lambdasonde zunutze, wie sie in jedem Auto mit geregeltem Katalysator anzutreffen ist. Getrennt voneinander werden dort ein Abgasstrom und ein Frischluftstrom an den beiden Seiten des Keramikkörpers vorbeigeführt. An beiden Seiten reichern sich nun elektrische Ladungen an und die entstehende Spannungsdifferenz, abgegriffen an den beiden Platinelektroden, ist ein Maß für das Verhältnis von zugeführter zu nutzbarer Luftmenge, dem Lambda-Wert. Die gemessene Spannung dient als Eingangswert für die elektronische Vergaser- beziehungsweise Einspritzelektronik, die das Luft-Treibstoff-Verhältnis regelt.
 
Auch die Änderung der Masse einer selektiven Schicht durch Anlagerung von nachzuweisenden Molekülen kann als Sensorprinzip verwendet werden. Solche Sensoren arbeiten auf der Basis von Schwingquarzen. Die Resonanzfrequenz eines Schwingquarzes ist eine Funktion seiner Masse und seiner Form (vor allem relativ zum Kristall, aus dem er geschnitten wurde). Sie ist außerdem äußerst scharf definiert, das heißt, kleinste Änderungen können eindeutig nachgewiesen werden. Belegt man die Elektroden an einem Schwingquarz mit einer selektiven Schicht, so ist die Verschiebung der Resonanzfrequenz, die elektronisch detektiert wird, ein Maß für die Konzentration (beziehungsweise den Partialdruck) des nachzuweisenden Stoffs im vorbeigeführten Gasstrom. Natürlich müssen diese Reaktionen reversibel sein, die Konzentration sollte also auf null sinken, das heißt, alle adsorbierten Moleküle müssen die Sensorschicht wieder verlassen.
 
 Es bewegt sich was
 
Um eine Bewegung hervorzurufen, bedarf es einer Kraft. Eine ganze Reihe von Kräften kann man sich auch im Kleinen nutzbar machen, um mikromechanische oder mikrofluidische Aktoren zu realisieren. Die bekanntesten sind natürlich die elektrischen und magnetischen Kräfte, die man ja auch schon lange in der Elektrotechnik nutzt. Doch die Palette ist wesentlich größer.
 
Torsions- und Kippspiegel
 
Ungleichnamige elektrische Ladungen ziehen einander bekanntermaßen an. Dies macht man sich in der Mikrotechnik zur Realisierung mechanischer Elemente zunutze. Ein wichtiges Beispiel sind Torsions- und Kippspiegel. Darunter versteht man kleine spiegelnde flächenhafte Elemente, die mittels elektrischer Anziehungskräfte um eine Achse gedreht beziehungsweise gekippt werden können. Verwendung finden solche Elemente in mikrooptischen Schaltern, in denen Lichtsignale von verschiedenen Eingängen auf verschiedene Ausgänge (meist Glasfasern) konfiguriert werden sollen. Aber auch das in der Entwicklung befindliche Laser-Projektionsfernsehen bedient sich dieser Elemente, die dann in großer Zahl dicht an dicht mit möglichst wenig Zwischenraum eine große Displayfläche füllen müssen. Zu diesem Zweck werden vor allem »Surface Machining« und »Bulk Machining« genannte Verfahren eingesetzt.
 
Beim Bulk Machining werden in den ersten Prozessschritten diejenigen Flächen, die als Spiegel und Torsionsbalken dienen sollen, abgeschieden und anschließend lithographisch strukturiert und mit einer Spiegelschicht versehen sowie geschützt. In einem anisotropen Ätzschritt können diese Spiegel zum Schluss unterätzt werden.
 
Beim Surface Machining werden zuerst lithographisch Elektroden und Leiterbahnen erzeugt und mit einer Schutzschicht überzogen. Sodann folgt die Aufbringung einer Polyimidschicht mit mehreren Mikrometern Dicke und darauf deren Strukturierung. Sie wird nur dort gebraucht, wo eine Spiegelfläche realisiert werden soll. Auf diese werden wiederum Elektroden, das eigentliche Trägermaterial des Spiegels und der Biegebalken und die Spiegelschichten selbst deponiert und lithographisch strukturiert. Als letzter Schicht folgt die Entfernung der Polyimidschicht, die nur als »Stütze« diente für die darüberliegenden Schichten, sozusagen als »Stellvertreter« des Luftspalts, der für die Bewegungsmöglichkeit des Spiegels ja nötig ist. Man bezeichnet solche Schichten, die in einer späteren Stufe der Herstellung mikrotechnischer Teile wieder entfernt werden, als Opferschichten.
 
Elektrische Kleinstantriebe
 
In elektrostatischen Aktoren finden sich auch oft gegeneinander bewegliche Interdigitalelektroden, deren Bewegung zum Beispiel zur Positionierung anderer Mikrobauteile genutzt werden kann, etwa zum Platzieren optischer Fasern.
 
Auch elektromagnetische Aktoren lassen sich miniaturisieren. Kleine Schalter, Relais oder sogar ganze Elektromotoren werden meist in Hybridtechnik gefertigt: Spulen aus Kupferdraht, weichmagnetische Metalle oder Legierungen als Magnetwerkstoff, Lagersteine oder winzige Kugellager zur Führung der Welle eines Motors müssen exakt zueinander positioniert und zusammengebaut werden.
 
Ein Beispiel für ein aktorisches Mikrosystem ist ein feinmechanisch und mittels LIGA-Vefahren gefertigter, nur 1,9 Millimeter durchmessender Mikroelektromotor mit Getriebe. Er eignet sich für Anwendungen in der Medizintechnik, in der Sensorik und — sobald die Serienfertigung in großen Stückzahlen möglich ist — auch für den Modellbau. Der eigentliche Antriebsteil setzt sich aus feinwerktechnischen Einzelteilen zusammen, unter anderem einem winzigen Permanentmagneten, der sich in einem Spulensystem aus Kupferdraht dreht. Die Lagerung der Stahlwelle auf zwei Saphiren ist der Uhrenindustrie entlehnt. Solch ein Motor erreicht problemlos Drehzahlen über 100 000 pro Minute, allerdings nur geringe Drehmomente. Aus diesem Grund wurde ein in LIGA-Tech- nik gefertigtes dreistufiges Planetengetriebe hinzugefügt.
 
Piezoelektrische Aktoren
 
Bei einer Reihe von Materialien verschieben sich Teile der negativ geladenen Elektronenhülle der Atome im Kristallgitter gegenüber den positiven Atomrümpfen, wenn das Gitter durch Druck oder mechanische Spannung deformiert wird. Diese Erscheinung heißt piezoelektrischer Effekt und wird in der Mikrotechnik zur Konstruktion von Sensoren und auch von Aktoren ausgenutzt. Die dabei entstehende Veränderung des Ladungszustands macht sich nämlich in einer zum Druck proportionalen elektrischen Spannung bemerkbar, die zwischen den Enden eines solchen Piezokristalls abgegriffen werden kann; dies ist das Funktionsprinzip eines Piezosensors. Und auch der umgekehrte Effekt ist möglich: Legt man an den Piezokristall eine elektrische Spannung an, so wird er in exakt reproduzierbarer Weise deformiert. Wird nun das eine Ende eines solchen Piezoaktors fixiert, so kann eine am anderen Ende angebrachte Struktur mithilfe der Verformung des Piezokristalls auf Bruchteile von Mikrometern genau positioniert werden.
 
Piezoelektrische Aktoren finden in vielen Mikrosystemen Einsatz. Die Bewegungen, die sie ausführen, sind durch wohldosiertes Anlegen von Spannungen sehr fein abstimmbar. Sehr unterschiedliche Materialien zeigen den piezoelektrischen Effekt, so Kristalle aus Quarz oder Lithiumniobat, aber auch Zinkoxid oder Keramiken wie Bleizirconat-Titanat (PZT) oder der Kunststoff Polyvinylidenfluorid (PVDF). Die letztgenannten drei Materialien müssen durch mechanische oder elektrostatische Ausrichtungsprozesse erst ihre Piezoeigenschaft bekommen, sie lassen sich aber zu vielerlei Gestalt verarbeiten.
 
Bei Tintenstrahldruckern werden piezoelektrische Elemente eingesetzt, um der Tintenflüssigkeit einen Druckimpuls zu geben, der die Tinte zur Düsenöffnung hintreibt und dort einen Tropfen entstehen und sich lösen lässt, welcher dann zum Papier fliegt. Dabei kommen Piezoschwingplatten, gewissermaßen elektrisch ansteuerbare Membranen an der Rückseite des Tintenreservoirs im Druckkopf, aber auch Piezoröhrchen rund um den Auswurfkanal zum Einsatz. Will man zur Erreichung einer möglichst kurzen Druckzeit bei hoher Auflösung (zum Beispiel 720 Punkte pro Inch) eine ganze Matrix von Düsenöffnungen eng nebeneinander realisieren, gegebenenfalls auch noch für unterschiedliche Farben, so ist Miniaturisierung von Düsen, Fluidkanälchen und Reservoirs unumgänglich. Mikrotechnik steckt nicht nur in der Konstruktion von derartig kleinen Reservoirs und Piezoelementen, sondern auch in den Düsen. Vor allem von ihrer reproduzierbar herstellbaren Form und Unbenetzbarkeit hängt die Qualität des Schriftbilds ab. Bereits eine Abweichung von einem Grad von der idealen Flugbahn des Tropfens macht sich im Schriftbild bemerkbar!
 
Ein anderes Beispiel für die Anwendung eines Piezoaktors in einem komplexen Mikrosystem sind Mikromembranpumpen. Sie bestehen im Wesentlichen aus einer Pumpenkammer, auf die direkt oder indirekt ein Piezoscheibenaktor aufgebracht ist, und zwei passiven Ventilen. Legt man eine Spannung an den Piezoaktor an, so wölbt sich das Scheibchen uhrglasartig und erzeugt einen Druck auf das Gas oder die Flüssigkeit in der Pumpenkammer. Daraufhin öffnet sich das Auslassventil und entlässt einen Teil des Mediums, während das Einlassventil geschlossen bleibt. Wird die Spannung vom Aktor genommen, nimmt er wieder die Form einer flachen Scheibe an, in der Pumpenkammer entsteht ein Unterdruck, welcher das Auslassventil schließt und das Einlassventil öffnet. Dadurch kann wieder Gas oder Flüssigkeit in die Kammer nachströmen.
 
 
Ein weiteres weit verbreitetes Mikrosystem findet sich im Innenleben von Armbanduhren — schon konventionelle Taschenuhren waren oft Meisterleistungen der Feinmechanik. Die Erfindung der Quarzuhr hat jedoch vor allem die Genauigkeit von Uhren bei gleichzeitig vereinfachter Herstellung revolutioniert. Das Geheimnis der Ganggenauigkeit dieser Uhren ist ein Schwingquarz; ein solches Quarzplättchen wird durch elektrische Pulse zu Schwingungen angeregt. So wie man eine Schaukel im richtigen Takt periodisch anstoßen muss, damit sie optimale Schwingungen ausführt, so lassen die geometrische Form und die Lage der Kristallachsen des Plättchens nur eine Frequenz zu, die den Quarz wirklich effektiv zum Schwingen bringt, die Resonanzfrequenz. Immer dann, wenn die Schwingung des Kristalls kleiner zu werden droht, wenn dieser Takt sich also ändert, wird dies durch eine Elektronik erkannt und der Takt entsprechend korrigiert. Der Gang der Uhr ist somit frequenzstabilisiert, wobei die Lage der Resonanzfrequenz so scharf ist, dass Quarzuhren eine Ganggenauigkeit von einer Sekunde pro Jahr erreichen. Die Leistungsaufnahme liegt dabei höchstens im Mikrowattbereich.
 
Auch die Taktfrequenz von Computern und Mobiltelefonen wird von »Quarzresonatoren« vorgegeben. Eine spezielle Anwendung ist der von der schwedischen Rüstungsindustrie entwickelte Schwingquarz: Er behält seine Ganggenauigkeit auch noch unter extremen Belastungen bei, zum Beispiel dem Vierzigtausendfachen der Erdbeschleunigung, wie sie in Geschossen auftreten.
 
Hergestellt werden die Quarzplättchen durch Ätzen mit Flusssäure. Vorher werden die vor dieser äußerst aggressiven Flüssigkeit zu schützenden Bereiche lithographisch mit einer Chrom-Gold-Doppelschicht maskiert. Auch die Aufbringung von Elektroden erfolgt lithographisch. Schwingquarze für die Uhrenindustrie sind die erfolgreichsten Mikrostrukturen überhaupt, über 2000 Stück werden derzeit pro Minute weltweit hergestellt.
 
 Miniaturisierung in der Militärtechnik
 
Spätestens seit dem Golfkrieg, den die USA und ihre Verbündeten gegen den Irak führten, hat sich das Wort vom »chirurgischen Eingriff« für (vorgeblich) eng umgrenzte militärische Aktionen eingebürgert. Exakt gezielte, kleinräumige Schläge sollen die Wirkung einer Bombardierung oder Beschießung erhöhen und militärische Siege schneller herbeiführen, bei deutlich verringerten Verlusten an zivilen Objekten und Personen. Ob dadurch der Krieg weniger grausam wird, mag man bezweifeln. Das Ziel ist, einerseits die entsetzlichen Materialschlachten und den Einsatz von Massenvernichtungswaffen, wie sie die zwei Weltkriege gekennzeichnet haben, möglichst überflüssig zu machen; andererseits steckt hinter der Entwicklung immer »intelligenterer« Waffen die Vision eines Kriegs ohne eigene Verluste.
 
Das »transparente Schlachtfeld«, in dem die Erfassung und Fernsteuerung aller Vorgänge mehr zählt als große Bomber und Schlachtschiffe, rückt auch durch Miniaturisierung weiter in den Bereich des Möglichen. Rechnergesteuerte Raketen wie die Cruise Missiles, deren eingebauter Computer die umgebende Landoberfläche während des Flugs laufend mit der eingespeicherten Flugroute vergleicht und den Kurs fortwährend korrigiert, bis das zu zerstörende Ziel vor dem Kameraauge auftaucht, sind bereits realisiert. Gegen noch unbekannte und vor allem bewegliche Ziele werden derzeit Micro Air Vehicles (MAVs) entwickelt. Darunter versteht man kleine, ferngelenkte Flugobjekte von Handteller- bis Hutgröße, die möglichst unbemerkt in das feindliche Gebiet eindringen und von dort Bilder oder Töne übermitteln können. Die Konstruktion solcher MAVs wirft viele technische Probleme auf: So nimmt der Luftwiderstand und die Empfindlichkeit gegen Windböen mit abnehmender Baugröße natürlich zu und der erreichbare Auftrieb ab. Zudem muss eine Energiequelle für den Antrieb mit eingebaut werden, was ein immenses Gewichtsproblem für derartig kleine Flugobjekte darstellt. Die Reichweite der zurzeit realisierten MAVs liegt bei nur wenigen Kilometern — eine Rückkehr ist nicht vorgesehen.
 
Werden solche MAVs einmal in großer Stückzahl hergestellt, so können sie der Kommandozentrale nicht nur übermitteln, wo sich welche feindlichen Einheiten aufhalten, sondern auch, in welchem Gebäude die gefährlichsten Waffen aufbewahrt werden. Sie könnten sogar unbemerkt kleine Peilsender auf Panzern oder Flugzeughangaren absetzen, die eine aus vielen Kilometern abgefeuerte Munition mit miniaturisierten Empfangs- und Steuermodulen zentimetergenau ins Ziel lenken.
 
Die Miniaturisierung wird in diesem Zusammenhang nicht nur deshalb vorangetrieben, weil sich kleine Flugobjekte relativ unbemerkt dem Feind nähern können, sondern weil sich kriegerische Auseinandersetzungen immer weniger im freien Gelände abzuspielen scheinen als vielmehr in unübersichtlichen Gebäudeansammlungen und Häuserschluchten oder als Guerillakampf oder Terroristenbekämpfung im unwegsamen Gelände. Hier ist der Einsatz von Aufklärungsflugzeugen oder -satelliten nicht möglich und der Einsatz von Menschen besonders riskant. Gerade dies eröffnet aber auch friedliche Anwendungsmöglichkeiten für MAVs, etwa die Suche nach verschütteten Erdbebenopfern oder die Behebung von technischen Defekten in gefährlicher Umgebung wie bei Unfällen in Kernkraftwerken.
 
Neben der Gefahr einer neuen Beschleunigung der Rüstungsspirale bergen diese Objekte auch zivile Risiken oder Missbrauchsmöglichkeiten, etwa Industriespionage oder die Gefährdung der Intimsphäre durch staatliche und private Organisationen — man denke nur an die bereits heute immer abstrusere Formen annehmende Jagd der Papparazzi nach VIP-Fotos.
 
 Chemie im Kleinen
 
Soll eine chemische Reaktion wirtschaftlich genutzt werden, so wird sie oft vom Laborstadium in eine speziell auf diese Reaktion verfahrenstechnisch durchkonzipierte Anlage mit größerem Durchsatz überführt: Man nennt dieses Verfahren ein »Upscaling« vom Reagenzglas zum chemischen Reaktor. Oft handelt man sich dabei entscheidende Nachteile ein. So ist es viel langwieriger, größere Substanzmengen hinreichend gut zu durchmischen. Auch ist die Temperatur in einem voluminösen Tank viel schwieriger auf einem konstanten Wert zu halten als in einem Reagenzglas, speziell bei Reaktionen, bei denen Wärme frei wird oder zugeführt werden muss. Aber schnelle und vollständige Durchmischung sowie eine optimale Temperaturkontrolle sind bei vielen, insbesondere biochemisch oder pharmazeutisch wichtigen chemischen Reaktionen Grundvoraussetzung für maximalen Umsatz, für die Reinheit des Produkts und oft auch für die Sicherheit des Reaktors selbst.
 
Chemische Mikroreaktoren
 
Um dieses Problem anzugehen, hilft ein Blick in die belebte Natur: Der erfolgreichste chemische Reaktor ist die pflanzliche oder tierische Zelle. In lebenden Zellen wird, je nach Organ, in dem die Zelle aktiv ist, eine Unzahl höchst komplizierter chemischer Substanzen hergestellt, sei es Stärke aus Wasser und Kohlendioxid in der Zelle eines grünen Blatts oder verdauungsfördernde Säure in den Zellen der Magenschleimhaut. Doch nachdem die Natur vor über einer Milliarde Jahren die einzelligen Lebewesen »erfunden« hatte, ließ sie diese im Verlauf der Evolution nicht einfach immer größer werden. Ihr »Up-scaling« verlief anders: In den rezenten Lebewesen arbeiten viele gleichartige Zellen an derselben Aufgabe. In Geweben sind sie gewissermaßen parallel geschaltet, in Organen werden die Gewebeeinheiten organisiert und miteinander verbrückt. Das bringt wesentliche Vorteile mit sich, zum Beispiel Ausfallsicherheit: Der Verlust einiger Zellen der Magenschleimhaut, die viele Milliarden enthält, ist ohne weiteres tolerabel. Zudem können diese Zellen nachgebildet werden.
 
Chemische Mikroreaktoren greifen dieses Prinzip auf: Die Flüssigkeiten oder Gase, die miteinander reagieren sollen, werden in kleinen Kanälen geführt und auf kleinstem Raum miteinander in Kontakt gebracht. Durch das hohe Verhältnis zwischen Oberfläche und Volumen kann Wärme gut zu- oder abgeführt werden, die Temperaturkonstanz kann also einfach gewährleistet werden. Vor der Reaktion können »statische Mischer«, die auf kurzen Wegen große Berührungsflächen zwischen zwei Flüssigkeiten oder Gasen schaffen, für die Durchmischung sorgen, ohne mechanisches Rühren oder Schütteln. Viele solcher Mikroreaktoren parallel geschaltet ergeben ebenfalls eine kleine verfahrenstechnische Anlage, die modular aufgebaut und damit erweiterbar ist. Sicher werden diese Mikroreaktoren nicht die Herstellung von Massenprodukten der chemischen Industrie übernehmen. Aber kritische oder empfindliche Reaktionen lassen sich mit ihnen vorteilhaft durchführen. Durch die geringe Größe kann dies dort erfolgen, wo Produkte gebraucht werden; energieintensive und unter Umständen gefährliche Transporte können vermieden werden.
 
 Schlüssellochchirurgie und Ersatzaugen
 
Wenn man Patienten fragt, was sie während der medizinischen Diagnose und Therapie gerne »miniaturisiert« haben würden, lauten die Antworten: »Den Schmerz, die Dauer der Eingriffe, das Ausmaß der Operationswunden und dadurch die Zeit der Rekonvaleszenz.« Was der Mediziner zur Erfüllung dieser Wünsche heute und morgen benötigt, sind neben ärztlichem Wissen, Erfahrung und Geschick unter anderem auch die Methoden und Produkte der Mikrotechnik.
 
So können (am gesunden wie am kranken Menschen) Sensoren am und im Körper für eine kontinuierliche Überwachung der Körperfunktionen sorgen. Das bekannteste Produkt, der Herzschrittmacher, ist ein mikroelektronisches Produkt, das die Herztätigkeit ständig überwacht und bei Bedarf bestimmte Stellen des Herzens über Elektroden durch geringe Spannungsstöße reizt. Herzschrittmacher sind mittlerweile kaum größer als eine Armbanduhr und können in eine Hauttasche implantiert werden, von der aus feine Drähte zu den am Herzen positionierten Elektroden führen. Es ist offensichtlich, dass bei diesem Produkt die Miniaturisierung eine Voraussetzung für seine Anwendung ist, genauso wichtig ist aber die Biokompatibilität (Gewebeverträglichkeit) des Materials und vor allem die geringe Leistungsaufnahme. Ein Batteriewechsel ist bei modernen Herzschrittmachern nur noch etwa alle zehn Jahre erforderlich. Ein integrierter Prozessor, der von außerhalb des Körpers programmiert werden kann, passt die Aktionen des Geräts an die jeweilige Körperaktivität des Patienten an. Die Hersteller von Herzschrittmachern erreichten 1998 einen Umsatz von über 500 Millionen US-Dollar.
 
Zufuhr von Arzneimitteln
 
Manche schweren Krankheiten müssen über lange Zeiträume hinweg medikamentös behandelt werden. Eine dieser Krankheiten ist der Diabetes, bei dem in schweren Fällen tägliche Injektionen von Insulin nötig sind, für deren Verabreichung der Patient oft selbst sorgen muss. Dies schränkt den Lebenswandel eines derart betroffenen Menschen stark ein. Zudem ist die Belastung des Körpers durch die immer wiederkehrende plötzliche Zufuhr von einer großen Menge Insulin ebenfalls gesundheitsschädigend. Viel vorteilhafter wäre es, in kurzen Abständen kleine Mengen Insulin zu verabreichen, die größer oder kleiner sein könnten, je nach aktuellem Glucosegehalt des Bluts. Um diese Therapiemöglichkeit zu realisieren, werden implantierbare oder am Körper tragbare Medikamentendosierpumpen entwickelt, die aus einem Glucosesensor, einer Auswerte- und Steuerelektronik sowie aus einem Insulinreservoir und den nötigen Verbindungen zum Blutkreislauf bestehen müssen. Gegebenenfalls kann ein integrierter Sender die Informationen über die gemessenen Körperparameter auch an eine externe Überwachungsstation übermitteln, die dann die Entscheidung über Zeitpunkt und Umfang der Dosierung trifft.
 
Die Farbe des Bluts
 
Die rote Farbe des Bluts ist eng mit seinem Sauerstoffgehalt verknüpft; arterielles, sauerstoffreiches Blut ist dabei hellrot, während venöses, sauerstoffarmes Blut deutlich dunkler ist. Dieser optische Unterschied kann zur Messung des Sauerstoffgehalts im Blut ohne Blutentnahme herangezogen werden; dieses Verfahren heißt Pulsoximetrie (Oximetrie bedeutet Sauerstoffmessung). Dazu wird ein hinreichend dünnes Körperteil, etwa ein Finger oder ein Ohrläppchen, mit Licht zweier Wellenlängen durchstrahlt. Das Licht, welches das Gewebe durchlaufen hat, wird von lichtempfindlichen Sensoren aufgenommen und in elektrische Signale umgewandelt. Aus dem Verhältnis der beiden Signale zueinander kann dann die Messelektronik den aktuellen Wert der Sauerstoffsättigung des Bluts bestimmen. Moderne Pulsoximeter sind vollständig aus miniaturisierten Bauelementen aufgebaut: zwei Leuchtdioden, die abwechselnd das Licht einstrahlen, und einer Photodiode, die die geschwächte Strahlung misst.
 
Operation mit Joystick und Monitor
 
Die »minimal invasive Chirurgie« versucht, Operationen mit geringstmöglicher Verletzung des Patienten durchzuführen (»invasiv« bedeutet eindringend). Dies geschieht mithilfe von Endoskopen und Kathetern. Ein Endoskop ist ein medizinisches Gerät, mit dem via Lichtleiter Bilder aus dem Körperinneren auf einen Bildschirm projiziert werden können; Katheter sind meist schlauchartige Instrumente zur Spülung oder Entleerung von Körperhohlräumen. Bei einer minimal invasiven Operation führt der Chirurg flexible Endoskope und Katheter durch möglichst kleine Operationsschnitte oder durch natürliche Körperöffnungen an den Diagnose- oder Therapieort heran. Endoskope und Katheter sind heute oft zu einem einzigen Allzweckwerkzeug vereint; außer winzigen Optiken und Spülvorrichtungen besitzen sie verschiedenste Instrumente wie Greifer, Zangen oder Ähnliches an ihrer Spitze. Dabei können sie mittlerweile mit extrem kleinen Durchmessern von nur 0,3 Millimetern hergestellt werden. Ein Glasfaserbündel leitet Licht an das Ende des Endoskops und beleuchtet die Szene; andere Fasern projizieren ein Bild vom Operationsort auf einen CCD-Chip außerhalb des Körpers, der es an einen Monitor überträgt, wo es (quasi wie durch ein Schlüsselloch betrachtet) dargestellt wird. Über einen Manipulator (in Anlehnung an den Sprachgebrauch beim Personalcomputer auch hier — etwas unpassend — Joystick genannt) werden kleinste als Greifer oder Messer ausgeführte Aktoren an der Spitze des Endoskops bedient. Für spezielle Operationen kann auch Laserlicht durch ein weiteres Glasfaserkabel an die Operationsstelle geleitet werden. Solche »Laserskalpelle« haben den großen Vorteil, dass durch die Hitzewirkung des Lichts die Wundränder sofort vernarben und damit wieder verschlossen werden.
 
Eine wichtige Anforderung an Endoskope und Katheter ist, dass sie sich hinsichtlich der Änderung ihrer Form steuern lassen. Dies bedeutet insbesondere, dass sie beim Vorwärtsschieben alle bisher angenommenen Krümmungen beibehalten sollen. Für diesen Zweck muss der Katheter aus lauter kleinen, einzeln steuerbaren Segmenten bestehen, die entweder starr sind und über feine Gelenke dazwischen zueinander verwinkelt werden oder die jedes für sich mit einer definierten Krümmung versehen werden können, und zwar durch Steuerung von außen. Dazu werden zum Beispiel Segmente erprobt, die aus vier Viertelzylindern aus einer Formgedächtnislegierung bestehen. Jeder Viertelzylinder ist einzeln durch ein Heizsegment erwärmbar und prägt seine Längenänderung der flexiblen Hülle des gesamten Segments auf.
 
Vor allem im Bereich der Herzkranzgefäße kommt es bei manchen Menschen zu gefährlichen Verengungen, Stenosen, die den Blutdurchfluss behindern. Diese aufzuspüren und zu beseitigen ist ein Hauptziel der Gefäßchirurgie. Von außen aufgenommene Röntgenbilder der gefährdeten Gefäße sind jedoch auch bei Zugabe von Kontrastmitteln oft so unscharf, dass sich Stenosen nur schwer erkennen lassen. Rundum-Ultraschallaufnahmen (Coronar-Angiogramme), die mit einem Katheter direkt »vor Ort« aufgenommen werden, erlauben eine wesentlich bessere Diagnose. Um solche Angiogramme zu erhalten, wird ein Katheter in die betroffene Arterie eingeführt, in dessen Spitze ein miniaturisierter Ultraschallsender eingebaut ist, der von einem miniaturisierten Motor gedreht werden kann.
 
Hat man eine Stenose gefunden, kann — ebenfalls mit einem Katheter — eine Art winziger Luftballon eingeführt werden, der am Ort der Stenose aufgeblasen wird und damit die Gefäßwand auseinander drückt und wieder weitet. Diese Methode der Ballondilatation ist nicht überall einsetzbar. Oft würde der Arzt es vorziehen, eine dauerhafte Stützwand in die Arterie einzubauen. Solche »Stents« befinden sich in der Entwicklung. In ihrer Ausgangsform gleichen sie einem Gitterröhrchen. An Ort und Stelle gebracht muss man sie in Längsrichtung zusammenschieben, wobei ihr Durchmesser vergrößert wird. Durch kleine Rastvorrichtungen kann der neue Durchmesser stufenweise eingestellt werden. Für solche Stents stehen biokompatible (gewebeverträgliche) Kunststoffmaterialien zur Verfügung, von denen einige mit vorgegebener Geschwindigkeit im Körper wieder abgebaut werden können.
 
Wie gefährlich eine Stenose ist, kann man beurteilen, wenn man den Unterschied des Blutdrucks direkt vor und hinter der Verengung misst, den Blutdruckgradienten. Um dies zu tun, werden Katheter mit nur 0,35 Millimeter Durchmesser in die Leistenarterie eingeführt und bis in die Herzregion vorgeschoben. Im Innern des Katheters läuft eine optische Faser entlang zu einem Drucksensor an der Spitze des Katheters. Dieser Sensor besteht aus einer elastischen Membran, die sich durch den Blutdruck in den Innenraum des Katheters wölbt und dabei einen 50 Mikrometer dünnen und 900 Mikrometer langen Siliciumbalken verbiegt. Dieser Balken trägt an einem Ende eine verspiegelte Verdickung, die durch die Durchbiegung vor das Ende der Glasfaser geschoben wird. Je höher der Blutdruck, desto größer der Spiegelbereich, der vor die Faser geschoben wird, und umso höher die Lichtintensität, die in die Faser zurückläuft und vom Photodetektor außerhalb des Körpers gemessen werden kann. Die Biegebalken werden durch anisotropes Ätzen aus Silicium hergestellt, mehrere Tausend aus einem einzigen Wafer.
 
Der Traum vom künstlichen Auge
 
Auch die visuelle Wahrnehmung ist in gewissem Sinn ein optoelektronischer Vorgang: Von einem Objektpunkt ausgehendes Licht, das auf die Augenlinse trifft, wird vom gesunden, auf das Objekt scharf gestellten Auge auf die Netzhaut fokussiert. Dort regt das Licht Farbstoffmoleküle, die Sehfarbstoffe, zu einer chemischen Reaktion an, an deren Ende ein elektrisches Potenzial der Größenordnung 0,01 Volt aufgebaut wird. Die Sehfarbstoffe sind in den als Zapfen und Stäbchen bezeichneten Zellen untergebracht, die interessanterweise die unterste Schicht der Netzhaut bilden. Von ihnen gibt es etwa 125 Millionen in jedem Auge. In der Netzhaut wird die Information vorverarbeitet; die etwa eine Million Ganglienzellen, welche die oberste Schicht der Netzhaut bilden, leiten die Reize schließlich zum zentralen Sehnerv und damit ans Gehirn weiter. Dort werden alle ankommenden Reize auf noch nicht voll verstandene Weise verarbeitet und erzeugen den Gesamteindruck dessen, was das Auge erblickt.
 
Die Ursache für eine Erblindung liegt meist im Absterben der unteren Schichten der Netzhaut, wohingegen die dahinterliegenden, bildverarbeitenden Nervenzellen in der Regel noch intakt sind. Verschiedene mikrotechnische Ansätze befinden sich in der Erprobung, die blinden Menschen zumindest einen Teil ihrer Sehfähigkeit zurückgeben sollen.
 
Ein Ansatz geht dahin, einen CCD-ähnlichen Detektorchip mit Hunderttausenden von Photodioden in einer Brillenfassung unterzubringen. Über eine Optik wird die Umgebung auf diesen Chip abgebildet. Die Helligkeitsinformation wird pixelweise ausgelesen und codiert. Dann wird sie mithilfe eines Diodenlasers an ein Implantat weitergeleitet, das dem Auge eingepflanzt wurde und der obersten Schicht der Netzhaut aufliegt. Eine Photodiode nimmt die Signale auf, decodiert sie und führt die Helligkeitsinformationen als Strompuls an ein Elektrodenmuster an der Unterseite dieses Implantats weiter. Die Elektroden berühren die dort befindlichen Sehnervenzellen oder dringen leicht in sie ein. Ein Problem besteht darin, dass der »natürliche« Ort des Bildpunkts auf der Netzhaut und die darüber liegenden Zellen nicht unbedingt etwas miteinander zu tun haben müssen. Das dem Gehirn vermittelte Bild wird also keine große Ähnlichkeit haben mit dem Bild auf dem Detektorchip. Welche Elektrode mit welchen Pixeln des Chips zu verbinden ist, muss das Gerät im Patienten erst lernen, die Brille muss daher außer der Optik, dem Empfängerchip und dem Diodenlaser noch eine programmierbare Elektronik tragen, der die korrekte, für den Patienten individuell zu ermittelnde »Verschaltungsregel« beigebracht werden kann.
 
Ein anderer Ansatz will das Tragen einer optischen Sehhilfe ganz vermeiden. Dort soll zukünftig ein »intelligenter« Photodiodenchip aus vielen Einzeldetektoren direkt in die Netzhaut implantiert werden. Er empfängt das Bild, das die Augenlinse erzeugt, und muss selbst die oben bereits beschriebene Verschaltung gewährleisten. Eine Programmierung muss also von außen geschehen.
 
Auch wenn bei beiden Ansätzen noch viel zu leisten ist, so rechnen die beteiligten Forscher damit, dass es noch im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts gelingen wird, den ersten Menschen solche Sehhilfen einzupflanzen. Derzeit wird in Tierversuchen die Funktion der Chips und die Gewebeverträglichkeit der verwendeten Materialien getestet. Ein interessanter Gesichtspunkt dieser Netzhautimplantate besteht übrigens darin, dass der spektrale Empfindlichkeitsbereich von Photodioden über das Sichtbare hinausgeht — bei Kaninchen konnte gezeigt werden, dass auch Infrarotsignale bis an das Sehzentrum im Gehirn weitervermittelt werden können. Ein Patient könnte also mit diesen Implantaten auch Infrarot- oder UV-Licht »sehen«! Ob das allerdings wünschenswert ist, sei dahingestellt.
 
Dr. Hans-Dieter Bauer, Mainz
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Photonik und Mikrotechnik: Von der Videokamera bis zum Flachbildschirm
 
 
Ahlers, Horst / Waldmann, Jürgen: Mikroelektronische Sensoren. Heidelberg 1990.
 
Aktoren. Grundlagen und Anwendungen, herausgegeben von Hartmut Janocha. Berlin u. a. 1992.
 Cracknell, Ian D. / Mead, Michael G.: Kleine Chirurgie. Aus dem Englischen. Bern u. a. 1999.
 Elbel, Thomas: Mikrosensorik. Eine Einführung in Technologie und physikalische Wirkungsprinzipien von Mikrosensoren. Braunschweig u. a. 1996.
 Höhler, Rainer: Nachbildung biologischer Sehfunktionen durch Smart-Pixel-Arrays in CMOS-Technologie. Düsseldorf 1998.
 Lampton, Christoper: Nanotechnologie. Konstruktion von Maschinen aus atomaren Elementen. Aus dem Englischen. München 1993.
 Linsmeier, Klaus-Dieter: Elektromagnetische Aktoren. Physikalische Grundlagen, Bauarten, Anwendungen. Landsberg am Lech 1995.
 
Minimalinvasive Techniken in der Gefäß- und Herzchirurgie, herausgegeben von Ralf Kolvenbach. Darmstadt 1999.
 
Piezokeramik. Grundlagen, Werkstoffe, Applikationen, Beiträge von Karl Ruschmeyer u. a. Renningen 1995.
 
Sensoren und Aktoren. Schlüsselkomponenten der Mikroelektronik im Umweltschutz, herausgegeben von Reinhard Grabowski. Berlin u. a. 1991.
 
Technischer Einsatz neuer Aktoren. Grundlagen, Werkstoffe, Designregeln und Anwendungsbeispiele, Beiträge von Daniel J. Jendritza u. a. Renningen 21998.
 
Video-endoskopische Chirurgie. Grundlagen - Prinzipien - Perspektiven, herausgegeben von Ferdinand Köckerling und Werner Hohenberger. Heidelberg u. a. 1998.

Universal-Lexikon. 2012.

Игры ⚽ Поможем написать реферат

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Mikrosystemtechnik — Mi|k|ro|sys|tem|tech|nik, die: Teilbereich der Technik, der sich mit der Entwicklung u. Herstellung von Mikrosystemen befasst. * * * Mikrosystemtechnik,   Gebiet der Technik, das sich mit Entwurf, Simulation, Entwicklung, Fertigung und Test… …   Universal-Lexikon

  • Photonik und Mikrotechnik: Von der Videokamera bis zum Flachbildschirm —   Neben der akustischen Nachrichtenübermittlung, bei der die menschliche Sprache oder besonders weit zu hörende einfache Signallaute benutzt werden, ist auch die optische Informationsweiterleitung bereits aus historischer Zeit bekannt. Da… …   Universal-Lexikon

  • Sensor — Fühler; Messwertgeber; Detektor; Messfühler * * * Sẹn|sor 〈m. 23〉 1. elektr. Bauelement, das physikal. od. chem. Größen erfasst u. in elektrische od. digitale Signale umsetzt u. somit zu Messungen in nicht zugänglichen Bereichen geeignet ist; Sy …   Universal-Lexikon

  • Mikrotechnik — ◆ Mi|kro|tẹch|nik 〈f. 20; unz.〉 1. die angewandte Technik bei mikroskop. Untersuchungen 2. Herstellung mikroskop. Präparate ◆ Die Buchstabenfolge mi|kr... kann in Fremdwörtern auch mik|r... getrennt werden. * * * Mikrotechnik,  … …   Universal-Lexikon

  • Miniaturisierung — Mi|ni|a|tu|ri|sie|rung 〈f. 20; El.〉 das Miniaturisieren, das Miniaturisiertwerden ● die extreme Miniaturisierung von Schaltkreisen und Maschinen * * * Mi|ni|a|tu|ri|sie|rung, die; , en (Elektrot.): Entwicklung u. Herstellung kleinster… …   Universal-Lexikon

  • minimalinvasive Chirurgie — minimal|invasive Chirurgie,   Abkürzung MIC, Minimalchirurgie, endoskopische Chirurgie, Schlüssellochchirurgie, Sammelbegriff für moderne Operationstechniken, die größere Schnitte zur Eröffnung von Körperhöhlen ver …   Universal-Lexikon

  • Aktor — Aktuator * * * I Ạktor,   Elektrotechnik: Sammelbezeichnung für Wandler, die elektrische Signale in mechanische Bewegung oder in andere physikalische Größen (z. B. Druck, Temperatur) umsetzen; Gegensatz …   Universal-Lexikon

  • Mikroscanner — Ein Mikroscanner (englisch micro scanner bzw. micro scanning mirror) ist ein mikro opto elektro mechanisches System (MOEMS) aus der Klasse der Mikrospiegelaktoren zur dynamischen Modulation von Licht. Je nach Bauart kann die modulierend… …   Deutsch Wikipedia

  • VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik — Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik e.V. (VDE) Zweck: Technisch wissenschaftlicher Verband Vorsitz: Dr. Ing. Joachim Schneider Gründungsdatum: 21. Januar 1893 Mitgliederzahl: ca …   Deutsch Wikipedia

  • VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V. — Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik e.V. (VDE) Zweck: Technisch wissenschaftlicher Verband Vorsitz: Dr. Ing. Joachim Schneider Gründungsdatum: 21. Januar 1893 Mitgliederzahl: ca …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”